Nach etwa zwanzig Minuten Finsternis schiesst die Rhätische Bahn aus dem Vereinatunnel ins Licht des Unterengadins. Wilde Kalkberge und ausgedehnte Waldflanken beherrschen die Sicht. Die Vorfreude auf die kommende Wanderung steigt denn auch auf der kurzen Weiterfahrt nach Lavin. Das Dorf brannte im Jahr 1869 fast vollständig nieder und wurde in etwas anderem Stil, zum Beispiel mit flachen Dächern und breiteren Strassen, neu aufgebaut. Um zum Uferweg am Inn zu gelangen, durchquert man das ganze Dorf und erlebt dabei seine einladende, grosszügige Architektur. Am Inn überquert man die gedeckte Holzbrücke und wandert flussaufwärts auf breitem Weg, der auch einige Hartbelagsabschnitte aufweist. Vielleicht fällt einem auf der Karte der Flurname Foura Baldriun auf. Dies ist eine Waldlandschaft mit schluchtartigen Gräben, Spalten und Höhlen. Hier sollen sich im Dreissigjährigen Krieg, als österreichische Heere das Unterengadin heimsuchten, die Bewohner der nahen Dörfer versteckt haben. Bald danach ist Susch erreicht, der Talort am Flüelapass, vor dem Bau des Vereinatunnels im Jahr 1999 noch die einzige direkte Verbindung von Norden ins Unterengadin und im Winter oft gesperrt. Hinter Susch folgt der Wanderweg weiter dem Lauf des Inn. Bei Fuorcha kommt man an einer alten Richtstätte mit noch erhaltenen Galgensäulen vorbei. Auf dem folgenden Wegabschnitt waren im Jahr 2018 Bauarbeiten im Gang, um die Walderschliessungswege zu verbreitern. Zum Wandern wäre der schmale Weg natürlich schöner gewesen, dafür bleibt nun mehr Platz fürs Nebeneinander von Wanderern und Bikern, die diese Strecke auch gerne unter die Stollenpneus nehmen. In Zernez, dem Ziel der Wanderung, locken an heissen Tagen die Glatscharia mit ihren Glace-Kreationen und viele Restaurants. Zudem lohnt sich ein Rundgang durch das Dorf mit seinen zahlreichen historischen Gebäuden.